Aufruf des Braunschweiger Jugendbündnis zum 1. Mai
Am 1. Mai versammeln wir uns zum “Tag der Arbeit” – oder auch dem Internationalen Kampftag der Arbeiter:innenklasse! Ein Tag, der nötig ist, um die vergangenen Kämpfe mit all ihren errungenen Freiheiten aufzuzeigen, aber auch ein Tag, der die noch ausstehenden Kämpfe mit all ihrer Dringlichkeit verdeutlicht. Wenn von Arbeitskämpfen und ihren Errungenschaften gesprochen wird, so ist meist die Rede von entlohnter Arbeit! Ein hier jedoch oft übersehener Aspekt ist die Care-Arbeit. Das ist die Arbeit, die sich um die sogenannten Reproduktionsbedingungen, wie Kindeserziehung, Haushalt oder soziale Fürsorgearbeit kümmert. Wenn wir hier also von Arbeit sprechen, verstehen wir darunter eben nicht nur die klassische Lohnarbeit sondern auch die Reproduktions- bzw. Care-Arbeit.
Bei dem bürgerlichen Familienbild – sprich Vater, Mutter, Kind – und den damit verbundenen, starren Geschlechterrollen ist es wenig verwunderlich, dass es eine Aufteilung der Arbeit und eine damit einhergehende Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft gibt. Kapitalistische Verwertungslogik lässt die Care-Arbeit und die damit verbundenen Zwänge und deren Konsequenzen in die zweite Reihe verschwinden. Dabei ist gerade unentlohnte Care-Arbeit ein Missstand, der Abhängigkeiten und Altersarmut hervorbringt. Besonders FLINTA* – das steht für Frauen, Lesben, Inter, Nonbinäre, Trans und Agender – sind als auch heute noch maßgeblich Care-Arbeit-Leistende oftmals von diesen Missständen am stärksten betroffen.
Und an dieser Stelle fungiert die Corona-Pandemie wie ein Brennglas und hebt einmal mehr die Missstände unserer Gesellschaft hervor.
Auf brachiale Weise wird deutlich, dass die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in pflegenden und medizinischen Berufen katastrophal sind: geringe Bezahlung, Personalmangel und Überstunden ohne Ende sind nur einige davon.
Rund zwei Drittel der sozialen, oftmals “systemrelevanten” Berufe werden von FLINTA* Personen ausgeübt, welche aktuell nicht nur ein hohes Maß an Mehrarbeit leisten, sondern sich auch einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sehen. Während das privatisierte und kaputtgesparte Gesundheitswesen und die nicht vorhandenen Unterstützungsstrukturen in Bereichen wie der Pflege und der Kinderbetreuung, das Versagen unseres Systems offenlegen, werden eben jene Menschen mit einem verständnisvollem Klatschen, statt wenigstens einer fairen Entlohnung abgespeist.
Diese Entwicklungen zeigen deutlich, wie grundlegend und wirkmächtig auch gegenwärtig noch das Zusammenspiel von Patriarchat und Kapitalismus ist. Geld zum (Über-)Leben bekommt man in unserer Gesellschaft in der Regel nur über Lohnarbeit. Eine nicht-sichtbare, unentlohnte Arbeit fällt hier nicht ins Gewicht.
Jetzt könnte der Gedanke aufkommen, dass diese Ungerechtigkeit sich auflöse, wenn nur die Lohnarbeit gleich verteilt wäre. Aber auch hier zeigt sich, dass FLINTA* in der Regel den größeren Anteil an der Reproduktionsarbeit haben. Mehrere Milliarden unentlohnter Stunden jährlich werden so aufgebracht – durchschnittlich wird von etwa 1,5 Stunden mehr Zeit ausgegangen, die FLINTA* täglich zusätzlich investieren. Die dadurch entstehende Doppelbelastung, also neben der Lohnarbeit auch den Großteil der Care-Arbeit leisten zu müssen, nimmt der Gleichverteilung von Lohnarbeit ihre vermeintliche emanzipatorische Kraft.
Deshalb müssen Care-Arbeitskämpfe her! Arbeitskämpfe außerhalb eines betrieblichen Kontextes sind erstmal unintuitiv. Geht es doch oft um das Erkämpfen von besserem Lohn. Nicht selten ist allerdings auch gesellschaftlicher Wandel Teil von diesen Kämpfen. Die 35 Stunden-Woche, die Diskussionen um weitere Arbeitszeitverkürzungen, Urlaubstage, Tarifverträge für Auszubildende und jetzt auch Studierende sind Themen, die eine gesellschaftliche Entwicklung anstoßen. Es sind also Arbeitskämpfe nötig, die die Care-Arbeit zentral miteinbeziehen.
Feministische Kämpfe als selbstverständlicher Teil von Arbeitskämpfen sind somit sinnvoll und wichtig. Um ihr emanzipatorisches Ziel zu entfalten, muss es dabei jedoch auch darum gehen, sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der die Menschen und nicht das Profitstreben im Mittelpunkt stehen.
Dafür braucht es eine Vernetzung unserer unterschiedlichen sozialen, feministischen, antirassistischen, ökologischen Kämpfe und Streiks – auch und gerade in Zeiten einer Corona-Pandemie.
Deswegen kann unsere Antwort nur eine auf Solidarität, Emanzipation und Freiheit aufbauende Gesellschaft sein. Für diese setzen wir uns im alltäglichen Leben, im Beruf, der Schule und der Uni ein. Am 1. Mai bringen wir diese Forderungen im Jugendbündnis auf die Straße und stehen so gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft und das gute Leben für alle ein. Heraus zum 1. Mai!
Das Braunschweiger Jugendbündnis zum 1. Mai besteht seit 2011 und setzt sich aus Aktiven verschiedener Organisationen von Gewerkschaftsjugenden über Jugendverbände bis hin zu antifaschistischen Gruppen und Initiativen zusammen. Gemeinsam haben wir eine fundamentale Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und die Forderung nach einem besseren Leben für alle.